Videos gucken kann Jörgen Gluver viele Stunden am Stück. Der 55-Jährige wird selbst dann nicht müde, wenn es dabei immer nur um das Eine geht: um den nächsten Gegner. „Bestimmt fünf Spiele habe ich mir jetzt von Neckarsulm angeschaut“, sagte der Handball-Coach von Halles Zweitliga-Frauen gestern Nachmittag. Natürlich das gegen seine Mannschaft aus der Hinrunde, in der sie auswärts mit 26:32 Federn lassen musste. Dazu Neckarsulm gegen Beyeröhde, Neckarsulm gegen Rödertal, Neckarsulm gegen … Am Abend vor dem Training gab es für seine Wildcats eine Quintessenz der ausführlichen Studien, mit denen er Schwachstellen des Tabellenführers aufzudecken versuchte.

Stunden der Wahrheit

Und das alles, um das Unmögliche vielleicht doch möglich zu machen. Dabei spielt dem Dänen in die Karten, dass die Gäste haushoher Favorit sind. Neckarsulm kommt am Sonntag als Tabellenführer in die Erdgas Arena mit dem Minimakel von gerade mal zwei Minuspunkten. Zum Vergleich: Die Hallenserinnen rangieren mit 22:12 Punkten auf Platz drei. Zwischen den beiden liegt Nellingen auf dem zweiten Aufstiegsplatz mit zwei Siegen mehr als Halle (26:8). Dieses Team wird eine Woche später zum Prüfstein für Gluvers Truppe. Danach wissen er und seine Spielerinnen, wo sie wirklich stehen. Kann die Mannschaft, die vor der Saison den Aufstieg zu ihrem Ziel erklärt und nach holprigem Start inklusive Verletzungspech die Umzugpläne ins Oberhaus ganz offiziell um ein Jahr verschoben hatte, doch noch nach oben schielen? „Darüber können wir vielleicht in zwei Wochen nachdenken“, wiegelte Gluver ab. Natürlich, der Trainerfuchs will schließlich keinen Druck auf die jungen Spielerinnen ausüben. Auch er wird wohl registriert haben: Je mehr das anfangs lautstarke Bekenntnis zum Saisonziel Aufstieg an Dezibel verlor, umso mehr gewannen die Hallenserinnen an Sicherheit. In acht der letzten neun Duelle behielten sie die Oberhand. Topspielerin Eileen Uhlig sprach von „gewachsenem Selbstvertrauen“. Doch sie warnt im gleichen Atemzug vor überzogenen Erwartungen – mit dem Hinweis auf die ausgeglichene Liga. Der Tabellenzehnte Zwickau ist nur fünf Punkte hinter Halle. Mit zwei Niederlagen fände man sich also ganz schnell im grauen Mittelfeld wieder.

Die Absicht, Neckarsulm bis aufs Blut zu triezen, bleibt bei aller Zurückhaltung. Nicht nur wegen der störungsfreien Vorbereitung. Da ist schließlich auch noch der Heimvorteil. Die Welle der Begeisterung, die die deutschen Handball-Männer vor Wochenfrist mit dem EM-Sieg in Polen ausgelöst haben, soll bis in die Erdgas Arena schwappen. Ein zusätzliches Lockmittel ist der freie Eintritt für die ersten 200 Zuschauer. Und auch Prominenz aus einer anderen Sportart hat sich als lautstarke Rückendeckung angesagt. Die Erstligavolleyballer aus Spergau wollen sich für die Unterstützung der Wildcats am Mittwoch beim Heimduell gegen Düren revanchieren. Hintergrund: Der CV Mitteldeutschland und Union Halle-Neustadt sind neuerdings PS-verbunden. Beide teilen sich für die Auswärtsfahrten ab sofort einen Mannschaftsbus, den ein Sponsor zur Verfügung stellt.

Darf Sörensen schon spielen?

Unklar ist hingegen, ob Union seine Neue als Trumpfkarte schon ziehen kann. Noch liegt die Spielgenehmigung für Mathilde Sörensen nicht vor, weil der Schweizer Verband die Freigabe erst nicht erteilen wollte. In seinem Hoheitsgebiet hatte die Dänin noch bis letzte Woche für den BSV Stans Tore wie am Fließband geliefert. Allerdings nicht als Berufshandballerin, sondern auf der Basis eines Amateurvertrages. Die Verantwortlichen kamen also gar nicht umhin, Sörensen ziehen zu lassen – wenn auch mit Verspätung. Nun ist Eile geboten: Haben sie den Eingang der von Union gezahlten Transfer-Gebühren registriert, müssen sie darüber den deutschen Verband informieren, der Halle dann sofort sein Okay gibt. Alle hoffen inständig, dass dies noch am heutigen Freitag der Fall ist. Denn Sörensen wird, davon ist Gluver überzeugt, eine echte Bereicherung für sein Team sein. „Sie passt hervorragend zu uns, spielt schnell und kraftvoll, ist dabei ruhig und sehr überlegt“, sagt der Coach. Gelänge es ihr mit den neuen Teamkolleginnen, den Ligaprimus zu ärgern, wäre das ein Einstand nach Maß. (mz)

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung von Petra Szag