Normalerweise sitzt Jörgen Gluver am Tag nach einem Punktspiel in seinem Arbeitszimmer und schaut sich die ersten Videos vom kommenden Gegner an. Am Sonntag war das aber anders. Der Trainer der Handballerinnen von Union Halle-Neustadt verbrachte seinen ersten Teil der Arbeit mit Ursachenforschung – für die 26:29-Niederlage seiner Mannschaft bei Sachsen Zwickau. Weil das Video des Spiels auf der dafür im Internet vorgesehenen Plattform noch nicht hochgeladen war, musste er sich auf seine schriftlichen Aufzeichnungen verlassen. Die lieferten ihm genügend Gründe für den Fehlstart in die Saison mit nur einem Punkt aus zwei Spielen.

„Wir haben im Angriff sehr schwach gespielt. Die zu früh oder zu schwach abgeschlossenen Würfe haben uns zwölf Gegentore eingebracht. Zudem haben wir uns anstatt fünf bis zehn gleich 15 technische Fehler geleistet. Diese beiden Quoten halbiert – und wir hätten das Spiel gewonnen“, sagte Gluver. So nüchtern und sachlich sind die Fakten. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht, wie seine Co-Trainerin Bianka Eckardt findet. „Es klappen derzeit viele einfache Sachen nicht“, sagt sie. „Es ist keine Struktur in den Aktionen, das Überzahlspiel klappt nicht, die Laufwege für die gegnerischen Außenspielerinnen werden nicht energisch zugestellt. Ich habe das Gefühl, dass bei jeder Spielerin noch 15 Prozent fehlen. Aber immer zu einem anderen Zeitpunkt der Partie“, erklärt Eckardt. Sie vermisst einen Führungsspielerin auf dem Feld. „So eine Spielerin haben wir nicht.“

Und, was noch viel schwerer wiegt: Eckardt sieht Reserven in der Einstellung der Spielerinnen. „Die ganze Mannschaft hat im Trainingslager im Sommer nur von Platz eins bis vier geredet. Alles Gequatsche“, schimpft Eckardt. „Wenn es darauf ankommt, einmal den Hintern zusammenzukneifen und so ein Drecksspiel wie in Zwickau zu gewinnen, dann machen sich die meisten in die Hose. Sie wollten den Druck. Jetzt haben sie ihn. Schon das dritte Saisonspiel gegen den Aufsteiger aus Lintfort wird zum Charaktertest.“ Die Wildcats schafften in Zwickau nur einmal den Ausgleich zum 2:2. Danach liefen sie immer einem Rückstand hinterher, der zeitweilig vier Tore betrug. Zwickaus Spielmacherin Silvia Sajbidor, die zwölf Treffer erzielte, bekamen die Wildcats zu keiner Minute der Partie richtig in den Griff.

Erst als Gluver fünf Minuten vor dem Ende bei drei Toren Rückstand auf offene Deckung umstellte und seine Mannschaft zum 26:27 aufschloss, wurden die 510 Zuschauer in der Neuplanitzer Sporthalle unruhig und es bestand zumindest die Hoffnung auf ein Remis. Doch mit einer Zeitstrafe gegen die mit elf Treffern starke Eileen Uhlig 60 Sekunden vor der Sirene war auch diese Hoffnung dahin. Doch Gluver wäre nicht Gluver, wenn er sich seinen Optimismus bereits zu einem so frühen Zeitpunkt der Saison nehmen ließe. „Nur ein Punkt aus zwei Spielen ist nicht unser Anspruch. Darüber müssen wir auch nicht diskutieren. Doch ich habe auch positive Ansätze gesehen, die mir sagen, dass wir schon nächste Woche die Kurve kriegen. Mathilde Steenholt arbeitet sich immer besser in die Mannschaft hinein. Eileen Uhlig nähert sich ihrer Topform aus der letzten Saison. Und Sarah Andreassen hat ihr erstes Saisontor erzielt“, sagt Gluver.

Sein Sorgenkind heißt Jacqueline Hummel. Die einst torgefährlichste Spielerin der Liga läuft ihrer Form weit hinterher. „Eigentlich müsste sie sich mit ihren 24 Jahren in der Führung des Teams mit Eileen Uhlig abwechseln. Aber das funktioniert nicht. Vielleicht sind ihre Schulterprobleme doch schlimmer als gedacht“, mutmaßt Gluver.

Quelle: Mitteldeutsche Zeitung vom 19.09.2016